In einem Gespräch mit einem Zeitzeugen der DDR- und VW-Motorengeschichte erfahre ich Interessantes über die Gründe, warum so lange noch Zweitaktmotoren auf den Straßen der DDR gefahren sind. Bernd Beltrame war von 1984-89 verantwortlich für die Errichtung einer VW-Motorenfertigung im damaligen Karl-Marx-Stadt.
In allen PKWs und Kleintransportern der DDR -Produktion wurden Zweitaktmotoren eingebaut. Diese haben im Gegensatz zum Viertaktmotor einen hohen Schadstoffausstoß und Verbrauch. So zeigte es sich, dass im internationalen Vergleich die Wettbewerbsfähigkeit von Fahrzeugen mit Zweitaktmotor immer mehr abnahm. Doch der Zweitakter überzeugte im einfachen Aufbau und wegen des geringen Fertigungsaufwandes. Angesichts des geringen Motorisierungsgrades der DDR und der ebenfalls recht hohen Verbrauchswerte der verfügbaren Viertakt-Ottomotoren wurde der hohe Kraftstoffverbrauch der Zweitaktmotoren in Kauf genommen. Wegen der Ölkrise musste jedoch nach Verbesserungen bei den Verbrauchswerten geforscht werden. Nach zahlreichen Versuchen der Verbrauchssenkung wurde festgestellt, dass das Ganze nur mit enormem Aufwand zu erreichen wäre und dabei die Hauptvorteile des Zweitakters, der einfache Bau des Motors und die geringen Kosten, verloren gehen würden. Auch die Einführung der ECE Regelungen für einheitliche Sicherheits- und Umweltvorschriften zwangen die Hersteller im Export zu reagieren.
Generalvertreter der westlichen und teilweise auch sozialistischen Exportländer, weigerten sich zunehmend DDR Fahrzeuge mit einem Zweitaktmotor abzunehmen. Sie drohten mit einer Vertragsstornierung. So begann man in den 70er Jahren im Automobilwerk Eisenach (AWE) mit der Suche nach einem beschaffbaren und vorhandenen Viertaktmotor aus dem sozialistischen Wirtschaftsraum. So schloss man mit der damaligen CSSR einen Wirtschaftsabkommen mit dem Ziel, einen gemeinsamen Pkw auf 4 Takt Ottomotor Basis mit Skoda zu entwickeln. Die ersten Tests zeigten eine gelungene Transplantation des Motors in den bestehenden Wartburg 353 zufriedenstellende Fahrleistungen. Jedoch scheiterte das Projekt wegen des zu hohen Investitionsaufwandes, den zu notwendigen Änderung am Fahrzeug und Kapazitätsproblemen in der tschechischen Motorenproduktion. . Deshalb hätte ein Teil der PKW Wartburg weiterhin mit Zweitaktmotor ausgerüstet werden müssen. Nach dem Scheitern bekam das IFA Kombinat Pkw die Erlaubnis der DDR-Regierung, Direktverbindungen zu dem Französischen Mobilhersteller Citroën herzustellen. Erste Beratungen zu Ausrüstung und Lösung von technischen Problemen verliefen überaus vielversprechend und auch die Straßentests ergaben sehr gute Ergebnisse. Zu guter Letzt vermittelte Renault 1981 eine Lieferbereitschaft von 10 000 Motoren jährlich, was in Eisenach bereits zu ersten Vorbereitungen für Getriebe- und Rahmenänderung führte. Diese Autos seien jedoch lediglich für den Export gedacht gewesen. Im Inland hätte man weiter warten müssen. Der Vertrag war bereit unterschriftsreif, doch die Plankommission stoppte aufgrund von zunehmender Devisenschwäche der DDR in letzter Minute den Vertragsabschluss. Somit scheiterten bis Ende 1981 alle Versuche, einen Viertaktmotor in einen 353er Wartburg einzubauen. Deshalb wurde daraufhin kurzfristig der Beschluss nach einer Alternative aus dem eigenen Haus, auf Basis des 353/1, gefasst. Ziel war es, möglichst viele alte Bauteile beizubehalten und damit das Projekt vor dem „Todesurteil“ wegen zu hoher Investitionskosten zu schützen. Dies gelang auch äußerst gut. 88% der Teile konnten beibehalten werden. Der durch Aufbohrung auf 1200 ccm gebrachte Motor, als Zweitaktmotorvariante, diente jedoch bloß als Lösung für den 353er Wartburg.
Anfang 1981 kam, begünstigt durch die politische Annäherung zwischen der DDR und der BRD, ein Vorschlag des VW-Konzerns auf den Tisch, die DDR Fahrzeug - Produktion bei der Rekonstruktion maßgeblich zu unterstützen. Die Finanzierung des Projektes sollte mit der Lieferung von Motoren aus der übernommenen Anlage erfolgen. Der damalige VW-Einkaufschef schrieb einen Brief mit dem Angebot der Unterstützung bei der Pkw- Entwicklung in Etappen. Sie boten eine gebrauchte, aber voll funktionsfähige Fertigungsstraße für Viertaktmotoren mit 1.1 und 1.3 Liter-Motoren an, wie sie vorher schon im VW-Polo und einigen Golfmodellen verbaut wurde. Sie bestanden u.a. aus Fertigungskomplexen für Kurbelwelle, Pleuel, Kolben, Ventilsteuerung, Ölwanne, Zylinderkopfhaube und Zylinderkurbelgehäuse. Der komplette, einbaufähige Zylinderkopf wurde dem Standort Eisenach zugeordnet und ebenfalls mit den notwendigen Fertigungseinrichtungen versehen.
Die Fertigungsstraße in Karl-Marx-Stadt sollte mit gefertigten Motoren abbezahlt werden und VW würde Abbaukosten und Einbaukosten der Anlagen in Karl-Marx-Stadt und Eisenach übernehmen.
Dabei wurde der Auslieferungszustand dieser Motoren sehr gering bewertet, was einen sehr hohen Aufwand für das IFA-Kombinat bedeutete. Die Folge war, dass die Refinanzierung einen sehr langen Zeitraum in Anspruch genommen hätte. Diese Straße würde unter einer Dreischichtauslastung 430 000 Motoren im Jahr produzieren können. Die Refinanzierung würde durch 100 000 Motoren jährlich stattfinden. Mit der Annahme dieses Projekts wurde eine neue Motorenhalle in Karl-Marx-Stadt geplant, um die Fertigungsstraße dort aufzustellen. Statt eigener Entwicklungen entschied man sich in diesem Stadium für die VW-Motoren.
Für die DDR- Seite stellte die Realisierung solcher Projekte als Kompensationsprojekt eine deutliche finanzielle Entlastung bei der Zahlung von Devisen dar und wurde immer öfter auch in anderen Bereichen angewandt.
Zeichnung von Benske R. Das Bild zeigt Bilder von der Baustelle in Karl Marx Stadt. Diese Zeichnungen übergab er an Bernd Beltrame, dem damaligen Aufbauleiter des Motorenwerkes
Die produzierten Rumpfmotoren würden im VW-Werk Salzgitter mit eigenen Zuliefererteilen komplettiert werden, während die DDR ihre Teile zur Komplettierung des Motors selbst herstellen musste. Da jedoch alle Teile einem gleichen technischen Standard entsprechen mussten, waren weitere Lizenznahmen dafür unumgänglich. Damit war das Ziel gesetzt, alle notwendigen Bauteile für die eigene Fahrzeugproduktion selbst herzustellen. Somit wurden in der DDR Zulieferindustrie Ergänzungsinvestitionen getätigt um sich die Lizenzen der Teile und die dafür benötigten Westmaschinen einzukaufen. . Deshalb wurde in der Zulieferindustrie ein Umdenken gebraucht. Das bisherige DDR-Qualitätssystem entsprach nicht dem westdeutschen Standard. „Qualität entsteht durch Maschinen, aber auch besonders durch Menschen. Wir hätten niemals nach Wolfsburg liefern können, würde uns eine schlechte Qualität der Teile nachgewiesen werden.“ sagt Bernd Beltrame, der ehemalige Projektleiter des Motorenwerkes.
Insgesamt planmäßig verlief die Fertigstellung des neuen Werkes am Standort Barkas Karl-Marx-Stadt bis zum Juli 1988. Ab diesem Zeitpunkt wurden in Chemnitz Rumpfmotoren und in Eisenach Zylinderköpfe gebaut. Währenddessen wurden bereits in Karl-Marx-Stadt, Eisenach und in Zwickau erste Versuche zum Einbau des Viertakters in die neuen Modelle durchgeführt. Wartburg, Trabant und Barkas waren die drei ausgewählten Fahrzeuge für die neuen VW- Alphamotoren aus der Inlandsfertigung. Jedoch war für weitere Fahrzeuginnovationen kein Spielraum. Um zusätzlichen Aufwand zu verhindern, sollten disziplinierende Politbeschlüsse helfen. Letztendlich war auch die Idee eines neuen Gesichts für den Trabant eine Option, welche aber aufgrund von fehlenden Finanzmitteln von der Kommission abgelehnt wurde.
Überlegung eines neuen Gesichts des Trabants 1988. Gezeigt an der „Studie 88"
Erstmals wurde der neue Wartburg mit 1.3 Viertaktmotor auf der Leipziger Herbstmesse 1988 vorgestellt. Ebenso zeugte der Trabant 1.1 von einer gelungenen Kooperation mit VW. Doch es sollte noch weiter gehen. 1989 dachte man noch nicht an eine Wiedervereinigung und man begann Gespräche mit VW, um eine gemeinsame Gesellschaft zu gründen. Dies sollte den nächsten Schritt der Zusammenarbeit zwischen dem IFA-Kombinat und der VW AG darstellen. So wurde im Dezember 1989 ein Gesellschaftsvertrag mit VW und dem IFA Kombinat geschlossen, mit dem Ziel der Entwicklung und Fertigung eines gemeinsamen neuen Pkws VW legte in einer 1. Fahrzeugstudie ein Modell vor, was in einer gemeinsamen, aber geheimen Sitzung von Vertretern der Plankommission, der Ministerien und des VW-Konzerns in Berlin begutachtet wurde. Da im Herbst 1989 die politische Wende eingeleitet war, begann jedoch der Niedergang des IFA-Kombinates und die Gewissheit, dass die DDR - Fahrzeugproduzenten auf absehbare Zeit keine Möglichkeit mehr hatte, sich wirtschaftlich selbständig am Markt zu behaupten. Im Jahre 1990 wurden die Verhandlungen mit der Treuhand zur Übernahme des Standortes Mosel abgeschlossen. Die Adam Opel AG übernahm einige Betriebsteile der Eisenacher Werke, jedoch nicht die Abteilungen für Entwicklung, Konstruktion und Versuch. VW übernahm lediglich den Neubaustandort Mosel, ließ aber die Produktion des Trabants 1991 auslaufen und benutzte es weiter als Produktionsstätte für den Polo. Die alten Fertigungsstandorte des Sachsenringwerkes wurden entweder geschlossen oder für einige Jahre als Zulieferer für Mosel genutzt. Auch gründete sich die damalige Entwicklungsabteilung des VEB Sachsenring aus und etabliert sich 1992 als Fahrzeugentwicklung Sachsen GmbH (FES GmbH) neu. Sie begannen mit 120 ehemaligen Mitarbeitern und sind heute mit 720 Angestellten für Konstruktion, Versuch, Prüffeld, Technische Dokumentation und Qualitätssicherung zuständig. Zu ihren Kunden gehört heute nahezu die gesamte deutsche Autoindustrie. Rückblickend schätzt Bernd Beltrame ein, „dass es früher unter der zentralen, staatlichen Leitung der Plankommission schwieriger war, neue Projekte durchzusetzen. Heute werden schneller neue Projekte entschieden, jedoch steigt das Risiko, dass diese nicht erfolgreich sind und man dadurch insolvent geht“.
Autor: Nick Bauer
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